Es gab eine Zeit, da waren wir jährlich in Paris – und ehrlich gesagt weiß ich bis jetzt nicht, warum wir das haben einschlafen lassen. Diese kleinen Kurztrips waren eine Wohltat für den Körper, vor allem fürs Auge – Jugendstil! –, den Bauch – Käse! –, und auch der Geist – Mhhh, oh la la, vive la France! – freute sich über Abwechslung. Lange haben wir keinen Spontantrip mehr gemacht. Bis mir kurz vor Weihnachten die Decke so auf den Kopf krachte, dass ich entschloss mal wieder „raus“ zu müssen. Und zwar ratzfatz. Finanziell sah es kurz vor Heiligabend allerdings nicht besonders rosig aus, was die Auswahl signifikant einschränkte. Hin und herüberlegt und zack, da war das Ziel ausgemacht: Lüttich.
Spontan nach Lüttich mit dem Thalys
Lüttich bzw. Liège bzw. Luik liegt unweit hinter der deutschen Grenze in Belgien und wirkte auf der Durchfahrt mit dem Thalys gen Paris auf mich immer recht pittoresk. Außerdem mag ich gerne Lütticher Waffeln. In meinem Kopf mache alles Sinn.
Bis mir schließlich – nachdem der Kurztrip verkündet worden war – jeder von der Reise abriet. Klar, Belgien ist landschaftlich wenig reizvoll und wirkt teilweise „verwahrlost“, heruntergekommen. Aber mit so vielen negativen Kommentaren hatte ich dann doch nicht gerechnet. Da war die Rede von einem „Moloch“ einem „Ghetto“, einem „Deutschland kurz nach 1945“. Auch der gut gemeinte Tipp „Schnell wieder wegfahren!“ war dabei. Das dämpfte die Vorfreude ein bisschen. Und führte dazu, dass ich überfürsorglich sogar Pfefferspray einpackte (... später mehr dazu.)
Ich möchte hier keinen Roman schreiben. Deshalb sei mein Eindruck von Lüttich im Folgenden kurz zusammengefasst: Lüttich ist eine Stadt mit rund 200.000 Einwohnern. Das Stadtzentrum ist schön, gepflegt und durchaus touristisch-erschlossen. Alte Fassaden und Kopfsteinpflaster, romantische Hinterhöfe, verschlungene Wege, süße Cafés und Lädchen – allen voran Fromagerien, Chocolaterien, Patisserien, aber auch Trödel, Bücher und Krimskrams – finden sich in der Nähe des Marktplatzes. In Richtung Kathedrale ist es kommerzieller und weniger individuell. Verlässt man den Ortskern aber, gerät man fließend in ein anderes Lüttich – ein Lüttich, in dem verfallene, verlassene Häuser dominieren, Schlaglöcher in und Müll auf den Straßen, am Horizont Plattenbauten und sonstige Bausünden vergangener Jahrzehnte.
Ja, die Geschichte der Stadt ist schwierig. Von dem Niedergang der Schwerindustrie hat sie sich nie erholt, und nun ist es eben so wie es ist: Die wirtschaftliche Schwäche der Stadt und ihres Umfelds, die Arbeitslosenquote von fast 16% wiegen schwer. Das merkt man. Das heißt aber nicht, dass Lüttich ein grauenhafter Ort ist, den man am besten großzügig mit Absperrband umriegelt. Ganz im Gegenteil.
Wir haben zwei wirklich schöne Tage in Lüttich verbracht und ich – vor allem auf kulinarischer Mission unterwegs – bereue den Trip keine Sekunde. Überall sind Fromagerien, Pâtisserien, Chocolaterien, Bäcker, Traiteurs, die Auslagen sind kleinstädtisch, liebevoll und wunderschön. Die (zurecht) berühmten Lütticher Waffeln gibt es an jeder Ecke, schmecken aber leider nicht überall. Wir durften da direkt eine schlechte Erfahrung machen mit einer Waffel, die direkt entsorgt werden musste. Kalt, kurz aufgewärmt, hart, mit Himbeer-Aroma (ups, so ein Fehlkauf).
Ein Traum hingegen die Waffeln von Pollux am Place de la Cathedrale, frisch vor unseren gierigen Augen gebacken, von außen mit heißem, süßen, fast knusprigem Sirup umhüllt.
Das zweite Highlight: Le Pain Quotidien. Davon habe ich euch schon in meinen New York Berichten erzählt, da er dort zu meinen bevorzugten Anlaufstellen gehörte. Nun, so hip der Laden auch ist – im Ursprung ist es eine belgische Kette, und eine Filiale ist inmitten der Lütticher Innenstadt gelegen. Tatsächlich ist sowohl das Interieur – angefangen beim Table Commune über die Brotregale bis hin zum Layout der Speisekarten – als auch die Qualität des Essens absolut identisch. Noch heute schwärme ich von meinem Pot au feu und den Tartines, beides gnadenlos frisch und so lecker, dass allein dafür sich der Trip nach Belgien gelohnt hat.
Achso, ihr wollt noch die Geschichte vom Pfefferspray hören?
Als wir spätabends zurück zum Hotel gingen, kam uns auf einem mutterseelenallein daliegenden Platz eine Gestalt entgegen, die mir nicht ganz koscher schien. In meinem Kopf all die Stimmen, all die Kommentare über das unsichere Pflaster Lüttich: Meine Hand umklammerte die kleine Sprayflasche in meiner Tasche. Bis der Herr ein freundliches „Bonsoir!“ brummte, uns zunickte und dann unbekümmert seines Weges ging. Festzuhalten bleibt also: Lasst euch nicht abschrecken. Gebt Lüttich eine Chance. Nur glattgebügelt und blitzeblank ist langweilig, unecht, fad. Lüttich ist laut, lebhaft, lecker und ideal für einen spontanen Tapetenwechsel.
Fahrt hin und kauft Belgische Biere (davon gibt es sooo viele – auch gute!), drückt euch die Nase an den Pâtisserien und Chocolaterien platt, ächzt die 318 Stufen der Montagne de Bueren (in echt noch viel furchteinflößender als auf Fotos) hinauf, gönnt euch ein ausgedehntes Mittagessen im Le Pain Quotidien, besichtigt die Kathedrale, genießt heiße Waffeln und plündert die Supermärkte. Besonders gut hat mir auch der Weihnachtsmarkt gefallen – den ich zuerst boykottieren wollte, schließlich hatten wir fast Silvester – aber die charmanten Stände lockten weniger mit Jesus-Nippes, sondern mit regionalen Spezialitäten, Waffeln, Pralinen, Schokoladen, Schinken...
Übrigens: Weitere Tipps findet ihr auch bei Chez Matze, definitiv ein besserer Kenner von Lüttich. Seine Empfehlungen haben uns auf dem Trip begleitet und geleitet.
Denise meint
Mir ging es ja genau wie dir vor Weihnachten: raus!
Bei mir wurde es auch Belgien, allerdings Gent und Antwerpen. Dabei hab ich mich so sehr in Antwerpen verliebt, dass ich plane, dieses Jahr mindestens 4 mal hinzufahren 😉 Wir haben hier wirklich Glück mit unserer Nähe zu so bezaubernden Städtchen. Und vielleicht geb ich Lüttich ja auch mal eine Chance 😉
Liebe Grüße und dir ein schönes Wochenende,
Denise
Christina meint
Wir könnten ja mal als Kollektiv nach Antwerpen... kommt mir gerade so der Gedanke! 🙂
Hihi, mal rumspinnen...