Die ersten 24 Tage unseres Sabbaticals haben wir in Nepal verbracht.
Nepal, das war seit einigen Jahren ein großer Wunsch von uns – als große Berg-, Bergsteiger-, Kletter- und Alpinismus-Fans war klar, dass wir einige der gigantischsten Wände der Welt auch mal mit eigenen Augen sehen wollen, um die Dimensionen zu verstehen.
[Kleiner Spoiler: Dimensionen verstehen? Klappt selbst dann nicht, wenn man direkt davor steht.]
Nepal war – neben Japan – das einzige Sabbatical-Ziel, das von Beginn feststand und für das wir am schnellsten Pläne schmiedeten. Und voilà, so sah die Route final aus:
NEPAL (04.03. – 28.03.2019)
Kathmandu – Pokhara – Mardi Himal Trek (Kande – Deurali – Low Camp – High Camp – Low Camp – Jhinu Danda) – Pokhara – Chitwan Nationalpark – Kathmandu – Nagarkot – Kathmandu
Puh, ganz schön heftig für dreieinhalb Wochen, wie wir im Nachhinein finden. Weil es mir schwer fällt, einen einigermaßen zusammenhängenden Fließtext über diese Reise zu schreiben, habe ich eine Art Fragebogen entworfen, über den ich unkomplizierter die spannendsten und interessantesten Momente dieser Zeit festhalten kann.
Der absolute Lieblingsort
Pokhara – die wunderbar relaxte Hippie-Stadt am Fewa See. Wir haben uns dort nach dem übertrubelten, überfordernden und übersmogten Kathmandu wie im Paradies gefühlt.
Der schönste Moment
Ganz klar und unangefochten:
Auf dem Lower Viewpoint auf dem Weg zum Mardi Himal Base Camp in absoluter Stille, fast knietief im Schnee und unter klarem, blauem Himmel zu stehen – und dabei diesen endlosen Horizont zu betrachten, eingerahmt von einigen der imposantesten Gipfel des Annapurna Himals (Annapurna South, Annapurna III, Annapurna IV, Gangapurna und Machapuchchre). Wenn ich hier und heute darüber schreibe, kommt es mir fast unwirklich vor, diese märchenhafte Kulisse und das perfekte Wetter, ein Glückstag.(Obwohl es eigentlich längst nicht mehr hätte schneien sollen, mehr dazu weiter unten.)
Es ist absolut unmöglich, diese Weite und Endlosigkeit von Stein auch nur annähernd in Bildern festzuhalten. Versucht habe ich es natürlich trotzdem, naja:
Der schlimmste Moment
Die Unterkunft im High Camp – und die Aussicht darauf, dass ich hier die nächsten Stunden und sogar eine Nacht verbringen muss. Vorweg: Die Unterkünfte – auch Tea Houses genannt – auf den Treks sind immer „gewöhnungsbedürftig“, um es nett auszudrücken (wobei es auch ein wenig auf den Trek und die Höhe ankommt). In der Lodge im High Camp war aber für mich das Maximum dessen erreicht, was ich persönlich ertragen konnte: Eiskalt, dreckig, kein fließendes Wasser, eine „Toilette“ für geschätzt 60 Männer und Frauen – und die Aussicht darauf, dass es überfüllt sein würde und wir unser winzig kleines, unkomfortables Zimmer, in das vier Betten gepresst waren, auch noch mit zwei anderen Trekkern teilen müssen. Das war mir einfach zu viel. Und dann habe ich eine halbe Stunde lang in meinen nach Chemikalien stinkenden, gefälschten North-Face-Schlafsack geheult.
Am nächsten Tag geschah allerdings das, was ihr unter „schönster Moment“ bereits gelesen habt – also was soll ich sagen? Freud und Leid lagen in Nepal stellenweise arg nah beieinander.
Die größte Überraschung
Dass keiner von uns auch nur annähernd höhenkrank geworden ist. Nix war, außer die obligatorische Kurzatmigkeit und ein schnell vorüberziehender Anflug von Schwindel, als wir uns der 3500-m-Marke näherten.
Außerdem: Schnee. Zu dieser Jahreszeit ist unser Trek eigentlich schneefrei, und nur darauf waren wir auch vorbereitet. Glücklicherweise hat unser Guide noch vor dem Aufbruch mit Kollegen gesprochen, die gerade „von oben“ gekommen sind, so dass wir uns noch Daunenjacken und Steigeisen leihen konnten. Viele andere, vor allem guide-lose Trekker, hatten das Glück leider nicht und sind dementsprechend leicht bekleidet und schlecht ausgerüstet aufgestiegen. Da selbst wir schon nachts fürchterlich gefroren haben – obwohl wir alles am Körper trugen, was wir dabei hatten – will ich mir gar nicht ausmalen, wie es denen wohl gegangen ist...
Was ich gerne vorher gewusst hätte?
Dazu habe ich bereits etwas auf Instagram geschrieben. Über all den im Post aufgeführten Alltagsbeobachtungen und Kleinigkeiten steht dick und fett, dass ich gerne auch nur annähernd geahnt hätte, wie anders und überwältigend Nepal für jemanden ist, der sich primär und gerne in westlichen, hoch-industrialisierten Ländern wie Japan und den USA aufhält.
Ich hätte niemals damit gerechnet, dass ich so etwas wie einen „Kulturschock“ empfinden könnte, so arrogant war ich vorher. Tatsächlich war ich davon ausgegangen, dass mir die „kleinen Unterschiede“ nichts anhaben können, weil ich ein paar Reiseführer und -blogs gelesen habe. Lächerlich.
Was mich besonders schockiert hat?
Etwas, an das ich mich hier in Nepal nie gewöhnen konnte und das mir regelmäßig ein „Ach du Sch****“ entlockt hat: Die Unmengen an Müll, die nicht nur in den Straßen von Kathmandu liegen, sondern auch in den Flüssen, in den Wäldern, auf den Bergen.
Zahlreiche, rabenschwarze Brandstellen zieren Städte und Dörfer, Waldwege und Naturschauplätze. Und eigentlich qualmt es immer irgendwo, wo Nepalesen versucht haben, ihren Müll zu verbrennen.
Denn ein Abfallmanagement wie bei uns, das gibt es in Nepal noch immer nicht. Und so verstreicht Jahr um Jahr, schreitet die Urbanisierung unaufhaltsam voran: Allein Kathmandu ist in den letzten 50 Jahren von 100.000 auf über 1.000.000 Menschen angeschwollen – und damit ist auch der Müll den Einwohnern wortwörtlich über den Kopf gewachsen.
Die Nepalesen wissen natürlich selbst um ihr allgegenwärtigstes Problem. Es gibt allerhand dazu zu lesen und die Erklärungen sind so zahlreich wie komplex: Bildung spielt eine Rolle, und dass Müllentsorgung häufig Geld kostet, das sich insbesondere die verarmte Landbevölkerung nicht leisten kann. Die Straßen der Hauptstadt sind zu alt und eng gebaut für Laster der Müllabfuhr, Mülleimer gibt es selbst an touristischen Hotspots kaum – so dass natürlich auch Besucher eher dazu neigen, Flaschen und Tüten aus der Hand „gleiten“ zu lassen anstatt stundenlang mit sich herum zu schleppen. Dabei ist es natürlich nicht nur ein ästhetisches, sondern vor allem auch ein gesundheitliches Problem für die Einwohner, die in all dem Müll leben müssen, der Ungeziefer und Ratten anlockt, das Trinkwasser kontaminiert, die Flüsse vergiftet...
Wir als Touristen sollten – gerade in Entwicklungsländern – unbedingt dafür sorgen, nicht noch mehr zur Vermüllung beizutragen. Verpackungsfrei ist nicht immer möglich, aber gerade die Vermeidung von Plastikflaschen doch relativ easy: Das Leitungswasser in Nepal ist nicht trinkbar, aber mit Hilfe von Desinfektionstabletten und drei nachfüllbaren Trinkflaschen haben wir es geschafft, in dreieinhalb Wochen keine einzige Plastikflasche Wasser kaufen zu müssen. Bei einer Trinkmenge von 2 Litern pro Person/Tag sind das in 25 Tagen immerhin 100 Flaschen.
Dafür muss uns jetzt niemand feiern oder so – aber 100 Flaschen, stellt euch die mal auf einem Haufen vor. Uns zumindest motiviert die Vorstellung, auch an unseren nächsten Zielen möglichst auf Einweg zu verzichten.
Und das hier sind unsere schlauen Helferlein: Die klassische Nalgene-Flasche* kann auch mit heißerem Wasser befüllt werden (und so nachts als Wärmflasche dienen, getestet und für gut befunden), und unsere beiden Platypus-Faltflaschen* sind super platzsparend. Desinfiziert haben wir das Wasser mit Silberionen-Chlor-Tabletten*.
Auf welche Unternehmung ich hätte verzichten können?
Unser Aufenthalt im Chitwan Nationalpark nahe der indischen Grenze war wunderbar und sehr interessant – weil so ganz anders als der Rest vom Land. Letztlich interessieren wir uns aber doch mehr für Berge als für Dschungel, insofern wird das vermutlich unsere letzte Safari-Erfahrung gewesen sein. Auch die Übernachtung im buddhistischen Neydo-Kloster in Pharping würde ich weder wiederholen noch empfehlen – wir haben uns dort nicht besonders wohl oder willkommen gefühlt.
Kulinarische Neuentdeckung
Die nepalesische Küche ist ganz lecker und wir haben nur selten schlecht gegessen, wobei wir kein Fan von den süßen Desserts und Backwaren waren (s. u.). Besonders häufig haben wir Dal Baht (serviert als „Nepali Thali“-Set mit Reis, Linsensuppe, Gemüsecurry, Spinat und scharf-eingelegten Pickles) und Momos (gefüllte und gedämpfte Teigtaschen) gefuttert. Die mache ich bestimmt Zuhause mal nach. Auch Thukpa – eine dickflüssige, leicht saure tibetische Gemüsesuppe – werde ich sehr vermissen.
Leckerstes Essen
Das Dal Baht in einem kleinen Hotel in Landruk, das extra-frisch zubereitet wurde – sogar das Gemüse hat die Köchin nur dafür aus ihrem Garten gerupft. Herrlich lecker war das – und wir haben ausnahmsweise sogar Nachschlag genommen.
Seltsamstes Essen
Apple Pie ist in Nepal sehr populär und findet sich auf jeder Speisekarte. Ich habe es zweimal versucht – und war jedes mal enttäuscht, wenn nicht sogar entsetzt. Beim ersten Mal erhielt ich einen dunklen, blätterteigartigen Klumpen, der mit einer braunen Apfelmasse gefüllt war. Beim zweiten Mal zierte meinen Teller eine riesengroße Teigtasche, in der sich sogar erkennbare Apfelstückchen befanden – allerdings war das ganze mit ungefähr einem Liter neongelber Vanille-Puddingsauce übergossen, die fast über den Tellerrand schwappte. Unappetitlich – und dann auch noch fürchterlich künstlich im Geschmack. Danach habe ich keinen Apple Pie mehr bestellt.
Und nicht zu vergessen: Druk Mixed Fruit Jam. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass eine Konfitüre so seltsam, künstlich, süß schmecken kann. Tatsächlich haben wir in dreieinhalb Wochen immer nur diese eine Sorte zu Gesicht bekommen, sie scheint hier also aus irgendwelchen Gründen populär zu sein. Hier ein paar Impressionen – macht euch einfach selbst ein Bild:
Was ich über mich selbst gelernt habe?
Ich habe mit Nichtstun und Nichtbewegen Probleme. Das wusste ich schon vorher, aber Zuhause ergibt sich das nicht so häufig. Ich bin einfach gerne beschäftigt, auch und insbesondere körperlich. Und muss noch ein wenig daran arbeiten, dass es auch okay ist, einfach mal einen Tag nur irgendwo zu sein – und nichts zu tun.
Ich habe außerdem gemerkt, dass ich an meinen Routinen hänge. Und dass mir eine saubere, gepflegte und ruhige Unterkunft im Zweifel sehr viel wichtiger ist als gutes Essen.
Was ich seit dem Abflug aus Deutschland vermisst habe?
Familie, Freunde, Kollegen, Schwarzbrot, Käse. Den Frühlingsanfang in Düsseldorf. Und tatsächlich mehr Möglichkeiten bei der Kleiderwahl (auch etwas, womit ich nie gerechnet hätte).
Was ich an Nepal vermissen werde?
Dass man so leicht mit Reisenden aus aller Welt ins Gespräch kommt. Wir haben so viele, tolle, interessante Menschen von überallher getroffen, das werde ich definitiv vermissen.
Und selbstverständlich werden wir die einzigartige Natur vermissen, den Anblick der Berge, die Farben überall, die niedlichen Vögel. Die super-freundlichen Nepalesen, die auch im größten Verkehrschaos gelassen und entspannt bleiben – und ihre ausgelassenen, fröhlichen Kinder.
... und was nicht?
Die unzuverlässige Versorgung mit Heißwasser und Strom, das Verkehrschaos, die schlechten Straßen, die verschmutzte Luft, die vermüllte Natur. Das ist alles typischer Erste-Welt-Kram, ich weiß. Aber hättet ihr geahnt, wie sehr sich Händewaschen wie Luxus anfühlen kann?
Wir bis zu unserem Aufenthalt hier nämlich nicht – und das setzt vieles, sehr vieles, über das man sich Zuhause ärgert, in Relation.
Wiederkommen?
Vermutlich ja.
Würde ich empfehlen, nach Nepal zu reisen?
Insofern man seine Komfortzone daheim lässt: Ja. Und nur, wenn man im Himalaya trekken gehen mag, denn allein für Kathmandu und ein paar Wanderungen in der (zugegeben berückend-schönen) Natur in den niedrigeren Ebenen lohnt es sich meines Erachtens nicht.
Ich würde auch niemals empfehlen, alleine in die Berge zu laufen, sondern mindestens eine Begleitperson dabei zu haben. Viele Leute scheinen die Gefahren (Isolation, enge, nicht gesicherte Wege, steile Hänge, Erdrutsche, Lawinen) noch immer zu unterschätzen, und so „verschwinden“ regelmäßig vor allem Solo-Trekker. Erst vor einigen Wochen wurde ein Niederländer auf dem Weg zum Annapurna Base Camp vermutlich von einer Lawine verschüttet. Bis heute hat man ihn nicht gefunden.
State-of-Mind nach 24 von 101 Tagen?
Körperlich etwas lädiert, grundsätzlich aber: Geflasht, zufrieden und mit viel Vorfreude auf die kommenden Wochen in Thailand, Malaysia und Japan.
*Amazon-Affiliate-Link
Susanne meint
Hach, toller Bericht! Nepal steht zwar nicht auf meiner aktuellen Wunsch- Reiseliste, aber das Essen sieht sehr gut aus ? und deine nächsten Ziele sind, denke ich, weniger "kulturschock".
Christina | feines gemüse meint
Liebe Susanne, lieben Dank. Kulturschock funktioniert auch andersherum, wie ich festgestellt habe, jetzt nachdem wir in Bangkok sind. Es ist Wahnsinn, wie viel diese Länder trennen und wie westlich Thailand im Gegensatz zu Nepal wirkt. Aber auch hier gefällt es uns sehr gut... Liebe Grüße und vielen Dank für deinen Kommentar!
Ela meint
Wunderbar geschrieben, lässt das Fernweh nach Nepal wieder wachsen! Möchte ja unbedingt wieder hin.. Und trauere jetzt schon deinen täglichen Nepal Impressionen auf Insta hinterher!
Weiterhin eine gute Reise euch beiden.
Alles Liebe aus München (wo es heut morgen noch geschneit hat, brrr...)
Ela
Christina | feines gemüse meint
Tut mir leid, ab sofort nur noch Mangos auf Instagram. 😉 Hach ja, Nepal ist landschaftlich wirklich ein Traum, ich könnte noch dutzende Bilder hochladen (und doch ist es so schwierig, die Schönheit der Natur so einzufangen...)
Christina | feines gemüse meint
Tut mir leid, ab sofort nur noch Mangos auf Instagram. 😉 Hach ja, Nepal ist landschaftlich wirklich ein Traum, ich könnte noch dutzende Bilder hochladen (und doch ist es so schwierig, die Schönheit der Natur so einzufangen...)
Lina meint
Liebe Christina, vielen lieben Dank für deine so umfangreichen und tollen Eindrücke von deiner Reise ?!
Ein Land das mir kulinarisch (das Essen ein Traum...) und landschaftlich sehr zusagt.
Leider wie du beschreibst liegt dort viel Müll an manchem Wegrand, aber in Deutschland gibt es ja auch solche Ecken - und dagegen auch wieder wunderschöne! Der Gesamteindruck bleibt umwerfend.
Christina | feines gemüse meint
Liebe Lina, vielen Dank für deinen Kommentar – und ja, umwerfend trifft es gut! Es ist ein sehr besonderes Land.
Viele Grüße,
Christina